HELIX – Enttäuschung auf 643 Seiten

Was hatte ich mich auf den neuen Elsberg gefreut. Zugegeben, ganz neu ist er nicht, ich habe bis zum Erscheinen des Taschenbuchs gewartet, ehe ich das Werk kaufte, aber Warten steigert ja bekanntlich das Verlangen. Und das war groß, nachdem ich seinerzeit BLACKOUT fast in einem Zug verschlungen hatte. Dann hielt ich es endlich in den Händen, HELIX. Mein Buchhändler meinte, es sei besser als ZERO, welches nicht so gelungen sei. Habe ich nicht zum ersten Mal gehört, es darum auch ausgelassen.

Also ran an den Speck. Ich stürzte mich auf den fast 650 Seiten langen Schinken. Gleich zu Beginn ein Todesfall, BÄMM, ein Minister geht auf einer Auslandsreise zu Boden, atmet nicht mehr, Jessica (die Stabschefin?) versucht zu reanimieren, erfolglos, immerhin bestätigen die Ärzte ihr später, sie habe alles richtig gemacht. Dumm nur, dass es, wie sich bald herausstellt, ein Virus gewesen sein könnte, das ihn dahingerafft hat, und Jessica sich vielleicht angesteckt hat. Alles halb so wild, sie darf trotzdem mit zur später folgenden Runde mit der Präsidentin der USA, muss halt einen Mundschutz tragen – ach nee, den darf die dann auch ablegen, hat sich doch nicht infiziert.

Derweil taucht in Afrika eine superresistente Maissorte auf, die sogar der Dürre trotzt und die Aufmerksamkeit von Saatgutherstellern auf sich zieht. Keiner weiß, wer sie gemacht hat, aber man fürchtet um das eigene Geschäftsmodell, denn der Mais ist plötzlich einfach da, scheinbar schon mehrere Jahre in Folge, und keiner will teures Geld dafür sehen. Ach ja, und dann gibt es auch noch ein Ehepaar, das drauf und dran ist, sich zu einem genmanipulierten Superkind überreden zu lassen (tatsächlich sogar zwei, einen Jungen und ein Mädchen, wenn schon denn schon) und mit vielen anderen Ehepaaren im Zuge dessen in eine Art Kinderzoo bringen lässt, in dem es „Ausstellungsstücke“ verschiedensten Alters begutachten kann. Alle supersportlich, frühreif, gescheit – wobei, wenn die echt so intelligent wären, wie der Autor sie dem Leser verkaufen will, würde die ganze weitere Handlung wohl anders verlaufen. Aber ein Protagonist ist halt bestenfalls kognitiv so leistungsfähig wie sein Schöpfer. Schließlich noch ein weiterer Handlungsstrang: Irgend so ein Wunderkindchen, Jill, ist verschwunden und wird nun gesucht, auch von der Polizei, aber der sagt man nicht alles, was man weiß. Suspekt, suspekt.

Sei’s drum, der Stoff hat Potenzial, nur leider ist alles von Anfang an so schrecklich absehbar. Abgesehen davon, dass ich mich manchmal frage, ob Elsberg seine Leser eigentlich für dumm hält. Beispiel: Die Afrikanerin, deren Mais so schön gedeiht, beschreibt den Nachfragern einen Geist, der ab und zu über ihrem Feld herumfliegt. Sie malt ihn sogar auf. Und auch der rückständigste Leser weiß sofort, sofern er irgendwann in den letzten fünf Jahren mal aus dem Haus gegangen ist: Das ist eine Drohne. Bei Elsberg wird das erst viel, viel später erkannt und ich fühle mich als Leser doch ein klein wenig veralbert. Nun gut, vielleicht ist das die neue Gate-Keeper-Funktion der Verlage. Es wird nur gedruckt, was auch dem verblödedsten Lesern vermittelt werden kann.

Aber dann, so um Seite 370 herum, gelingt es Elsberg tatsächlich, mich zu überraschen. Ich sage natürlich nicht womit, will nicht spoilern. Danach zieht sich aber alles wieder hin wie zuvor und manches Unnötige bläht das dem Leser lang werdende Buch immer weiter auf. Eine Entführung der Präsidentin, aus der aber auch gar nichts gemacht wird. Eine am Rande angedeutete Liebelei, die nicht wirklich entsteht und auch völlig entbehrlich ist. Gefühlte 30 verschiedene Akteure, vorzugsweise paarweise auftretend (Helge und Horst, Jessica und Rich, bei Linda und Bob musste ich schallend lachen und am meisten habe ich Hanni und Nanni sowie Ernie und Bert vermisst). Nur leider hat keiner von denen so etwas wie Gedanken oder Gefühle, bis auf Helen vielleicht, die Mutter der frisch eingesetzten Gen-Zwillinge. Die denkt wenigstens manchmal was oder fühlt sich irgendwie. Alle anderen handeln und reden nur, man sieht sie nicht, fühlt nicht mit ihnen, und wenn sie allesamt umgekommen wären, wäre einem das auch egal. Das alles in einer unbemühten Sprache, einem Erzählstil, wie man ihn sonst bestenfalls von ungeübten Jungautoren kennt. Nicht ein Versuch, etwas zu beschreiben. Nicht ein  Versuch, den Leser außer über Action in die Geschichte zu ziehen.

Schade, wirklich schade. Elsberg hat den Stoff verschenkt. Kräftig gekürzt, wofür viel Potenzial wäre, und dafür an anderen Stellen mit etwas mehr Atmosphäre und Human Touch gewürzt, vielleicht weniger reißerisch und dafür ideenreicher und nicht so vorhersehbar, einige fachliche und redaktionelle Fehler rauslektoriert, dann könnte man vielleicht Spaß an dem Wälzer haben. Aber so hat das Buch die Bezeichnung Thriller einfach nicht verdient. Es ist ein Jammer um die Zeit, die man damit vergeudet. Das Einzige, was beim Schließen des Werks zurück bleibt, ist die Erleichterung, es endlich als gelesen weglegen zu können.