Nach uns die Sintflut

Es ist der 30. Juni 2019, 10.15 Uhr, und ich sitze auf meinem Balkon. Noch ist es hier auszuhalten, denn es hat 25°C. Erwartet werden heute hier 35°C, in der Lausitz sogar über 38°C. Im Juni war es laut wetter.com heuer in Deutschland 4,4°C über dem langjährigen Mittel, im Osten sogar 6°C. Rekord jagt Rekord. Zum Glück ist für die kommenden Tage etwas milderes Wetter vorhergesagt.

Mein Kater weckt mich zurzeit morgens zwischen 5 und 6 Uhr, da ist die Wohnung etwas abgekühlt und das Tierchen fit. Aber schon jetzt sind aus den 23°C am Morgen indoor 26 geworden, bis heute Abend werden es wohl 28 oder mehr sein. Mit dem Kater brauche ich bis in die Abendstunden nicht mehr zu rechnen. Er schläft.

Wie gesagt, die heißen Tage sind ab morgen erst mal vorbei. Aber was, wenn das mal nicht mehr so ist?

Ich sah gestern ein Video, das mich gefangen hält. Bevor ihr weiterlest, seht es euch bitte an. Es wurde von der 1950 gegründeten Weltorganisation für Meteorologie herausgegeben und bereits am 19.09.2014 veröffentlicht. Darin gibt Sven Plöger einen möglichen Ausblick auf das Jahr 2050, also ein Jahr, das einige von uns wahrscheinlich erleben werden, und gruselig ist noch ein beschönigendes Wort für das, was der Mann da zum Besten gibt.

Freunde, es ist langsam aber sicher Zeit für Panik. Was uns früher gefreut hat, ein oder mehrere Hochsommertage im Juni, das wird uns bald ernsthaft zu schaffen machen. Es ist ja nicht das erste Jahr, in dem es heiß und trocken ist, und gerade im Osten, wo die Klimawandelleugnerpartei so beliebt ist, vertrocknet die Ernte und der Wald steht in Flammen. Bereits bis Ende April 2019 hatte es zehnmal so oft nennenswert in Europas Wäldern gebrannt wie im Zehnjahresdurchschnitt. Es ist nicht nur heiß, es ist auch furztrocken. So trocken, dass es in Ostwestfalen schon unter Strafe steht, den Rasen zu sprengen. Im Juni! Btw., ist eigentlich jemandem bekannt, ob in den entsprechenden Regionen auch kommerzielle Autowaschanlagen geschlossen wurden? Oder gilt auch für die Autowaschindustrie der Grundsatz Wirtschaft vor Leben?

11.24 Uhr, 28,7°C.

1982, eines der unbeschwertesten Jahre in meinem Leben, sind wir, unbedarft wie wir waren, bei Sonnernschein ins Freibad oder an einen See geradelt. Wir lagen in der Sonne, spielten im Wasser Frisbee und zerrten uns gegenseitig von den Luftmatratzen. Wer an einem Tag wie heute seinem Kind so was erlaubt, den sollte man wegen vorsätzlicher Körperverletzung anzeigen. Die UV-Belastung ist heute sehr hoch, man sollte am besten gar nicht aus dem Haus gehen.

(Quelle: https://www.dwd.de/DE/leistungen/gefahrenindizesuvi/gefahrenindexuvi.html Stand 30.06.19 11.40 Uhr)

Ja, es ist Sommer. Ja, im Sommer ist es warm. Aber es ist verdammt noch mal in den letzten 5 Jahren jedes Jahr zu warm und nein, daran ändert es auch nichts, dass es im Mai diesen Jahres ausnahmsweise mal etwas zu kühl war. Das Wetterkontor bietet eine wunderbare Möglichkeit, die Temperaturmittel in DE zu vergleichen. Wer also Langeweile hat, kann sich da Monat für Monat, Jahr für Jahr durchklicken und wird staunen. Btw., 1982 haben wir uns am 30.06. in Freiburg i. Br. über frühsommerliche 20°C gefreut. So kühl ist es heute nicht mal an der Ostsee.

Ich richte hier meinen Blick bewusst nur auf Deutschland, wohl wissend, dass es in benachbarten europäischen Ländern noch um einiges heftiger ist, von Indien ganz zu schweigen. Ich möchte nur über das schreiben, was ich glaube, aufgrund meines 50-jährigen Selbst einschätzen zu können. Meine Einschätzung sagt mir, es ist nicht normal, was zurzeit passiert.

Ich habe mich immer über warme Sommer gefreut. Allerdings muss ich gestehen, dass ich letztes Jahr die ein oder andere Heimfahrt von der Arbeit mit dem Rad zeitlich nach hinten verschoben habe, weil es mir einfach zu heiß und sonnig war. Um 15.30 Uhr 25 Kilometer unter hoher körperlicher Belastung zurückzulegen, wenn der Fixstern vom klaren blauen Himmel brennt, ist kein Zuckerschlecken. Da wartet man schon mal ein bisschen ab, auch wenn es um 16.30 Uhr auch nicht viel besser ist. Und manchmal habe ich auch bewusst das Auto genommen, weil es einfach zu heiß fürs Rad war. Widersinnig, gelt?

Aber so sind wir Menschen, nach uns die Sintflut. Es ist heiß, okay, rammeln wir los und kaufen eine Klimaanlage. Die bläst zwar noch mehr Wärme in die Umwelt, aber hey, drinnen ist es jetzt angenehm. Wir bringen mit dem Auto uns selbst zur Arbeit, die Kinder zur Schule und den Hund zum Spaziergang im Wald, weil es zu Fuß oder mit dem Rad zu heiß und wegen der UV-Strahlung auch zu gefährlich wäre. Wir versuchen, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.

Aber wir – Sie und ich – sind nicht die Schlimmsten. Die größten Verbrecher, die sitzen in der Politik. Sie vergehen sich an der Zukunft unserer Kinder, sie opfern sie dem Profit, der Bequemlichkeit – dem Wachstum. Wie sagt Professor Harald Lesch so schön? Wachstum! Wachstum! Wachstum!

Indes treffen die Großen 20 sich in Osaka und beschließen mit 19:1 Stimmen, dass man sich zum Pariser Klimaschutzabkommen bekennt. Chapeau, das ist doch mal eine Leistung. Immerhin hat man nicht beschlossen, dass man sich wieder davon abwendet.

Aber auch bei Handel und Migration gabs nichts außer Wischiwaschi, nur bei den Finanzen kam man zu einem Konsens, einer Mindestbesteuerung für Unternehmen. Na immerhin.

Liebe G20-Länder, wisst ihr, wo ihr euch eure Mindestbesteuerung hinschieben könnt, wenn ihr die Klimaziele verbaselt? Dorthin, wo nie ein Lichtstrahl hinkommt. Wenn ihr nicht damit aufhört, unsere Atmosphäre mit immer mehr Schadstoffen zu schwängern, wenn es euch nicht gelingt, die Erderwärmung zu stoppen, dann fliegt uns die ganze Scheiße hier um die Ohren. Die wirtschaftlichen Schäden, die durch immer extremere Wetterphänomene entstehen werden, werden die Versicherungen eines Tages nicht mehr tragen können. Aber das ist noch gar nichts im Vergleich dazu, was passieren wird, wenn die Menschen nicht mehr genug zu essen haben, weil die Landwirtschaft kollabiert. Das wird verdammt nochmal Kriege auslösen. Vom Wassermangel fangen wir besser gar nicht erst an, bzw. davon, was passiert, wenn es zu viel Wasser gibt, wenn die Küsten absaufen und schwerste Regenfälle Überschwemmungen auslösen, die alles einfach wegspülen. Denkt ihr allen Ernstes, dass euch da eine Mindestbesteuerung von Unternehmen noch irgendetwas nützt? Wie dumm kann man eigentlich sein?

12.45 Uhr, 29,4°C. Geht ja grade noch.

Ich habe mich immer für einen Menschen gehalten, der mit Temperaturen gut umzugehen weiß. Im Winter brauche ich es nicht allzu warm, da reichen mir 18°C, und im Sommer halte ich auch knapp 30°C im Büro noch ganz gut aus. Mit Ventilator geht das schon. Das ist es auch nicht, warum ich diesen Text verfasse, sondern es ist Angst. Nackte, ungeschönte Angst.

Seit fünf Jahren gab es kein Jahr mehr (siehe oben), in dem die Temperaturmesswerte im oder unterhalb des langfristigen Jahresmittels gelegen haben. Das kann natürlich eine Phase sein, aber was wenn nicht? Wenn sich das immer weiter steigert? Glauben Sie nicht? Meinen Sie im Ernst, ein anerkannter Meteorologe wie Sven Plöger gibt sich für ein Video wie das oben verlinkte her, wenn er nicht davon überzeugt ist, dass das, was er damit aussagt, im Bereich des Möglichen liegt? Das ist verdammt noch mal ein Weckruf.

Die G20-Bosse, ja, die sitzen in ihren klimatisierten Riesenbüros und lassen sich wahrscheinlich mit dem Heli dorthin fliegen, wenn es zu gefährlich sein wird, auf die Straße zu gehen. Aber Sie und ich, wir werden nicht so einfach davonkommen. Noch ist alles gut, wir können noch am Tage arbeiten gehen, weil es noch erträglich ist, wir finden noch volle Supermarktregale, weil es noch Ernten gibt, die eingefahren werden können, wir können noch unser Auto waschen und zweimal täglich duschen, weil es noch genug sauberes Wasser gibt, das wir sogar aus dem Hahn trinken können.

Noch.

Wer weiß, wie lange noch.

Wenn Sie mir jetzt Panikmache vorwerfen, haben Sie recht. Ich will Panik machen. Es macht mich hilflos, mitanzusehen, wie unsere Politik nichts tut, als zu reden. Anstatt sich entschlossen aufs internationale Parkett zu stellen und zügig bindende Vereinbarungen zu fordern, flüchten sich unsere PolitikerInnen in halbgare Fernziele, die sie ziemlich sicher selbst nicht erleben werden. Wasch mich, aber mach mich nicht nass, das ist die Devise, nach der sie handeln. Alles soll wirtschaftsverträglich und freiwillig sein und darüber hinaus muss es noch Spaß machen. Danke für gar nichts, Herr Dobrindt. Politikern, die in Anbetracht des Ernstes der Situation so einen Stuss von sich geben, gehören die Bezüge aberkannt.

Puh, 13.20 Uhr, 32°C. Der Kater liegt in der Wohnung und schläft nach wie vor. Ich werde jetzt auch reingehen, mir ein schönes Buch schnappen und lesen. Ein Buch vielleicht, das von einer besseren Welt erzählt, mit vernunftbegabten Politikern und Wissenschaftlern, auf die gehört wird. Wenn es morgen etwas abkühlt, gilt das hoffentlich auch für mein Gemüt.

Schönen Sonntag noch.

Euer Emu

Stempelabdruck Emu

Wieso ich vorerst keine Bücher mehr schreibe

(18.06.19: Den Ursprungstitel „Wieso ich nicht mehr schreibe“ habe ich abgeändert. Das stimmt ja so nicht.)

Hin und wieder treffe ich mich mit Menschen, die ich in der Zeit kennengelernt habe, als ich Geschichten schrieb. Manche von ihnen schreiben heute noch. Ich nicht.

Ich habe einiges angefangen, manches sogar weitestgehend fertiggestellt, eine Fantasygeschichte, einen Bauernroman, mehrere Ansätze zu einer Dystopie, in der die Braunen wieder das Ruder in DE übernehmen. Aber es geht nicht. Die Welt scheint immer mehr und schneller am Arsch zu sein, wie kann ich da irgendwelches Fantasiezeugs raushauen? Oder gar einen profanen Bauernroman? Und woher soll ich die Kraft nehmen, mich durch erfundene braune Kotze zu quälen, wo die bereits existierende doch schon ekelhaft genug ist?

Ich bewundere all jene, die in Zeiten wie diesen noch die Ruhe weg haben, ihre Kreativität in Fiktionen auszuleben. Mir fehlt das. Die freie Zeit, die ich habe, verbringe ich stattdessen mit lesen, fernsehen und neuerdings wieder mit Twitter.

Das hat mich auch politischer werden lassen, man kann ja kaum anders, wenn man nicht in einer Blase lebt. Das Problem ist, dass man schnell merkt, wie eindimensional die Denke unserer Regierenden oft wirkt und wie wütend das macht, vor allem dann, wenn man sich ansieht, was die Wissenschaftler dagegenhalten.

Das macht mich alles so sprachlos, dass ich keine 5 Seiten mehr schreiben will. Es ist jetzt nicht die Zeit dazu. Jetzt ist die Zeit, sich zu überlegen, wie es weitergeht mit uns, wo wir hinwollen und wie wir das bewerkstelligen.

Ich habe keine Kinder. Insofern könnte es mir egal sein, ob sich die Erde erwärmt und Osnabrück im Jahr 2100 zur Hafenstadt des Jahres ausgerufen wird. Ich könnte einfach weitermachen wie bisher, meine Lebensmittel so billig wie möglich einkaufen, mit dem Auto fahren, wann immer ich Bock darauf habe, und fliegen, wohin immer ich will. Aber so einfach geht es nicht. Es ist etwas mit mir geschehen; ein Umdenken hat sich in mir breitgemacht, das mich zwingt, mich bewusster mit der Erde und der Natur und ihren Gesetzen auseinanderzusetzen. Wohl wissend, dass ich alleine nichts ausrichten kann, fühle ich einen inneren Zwang, mein Leben zu ändern. Es den gegebenen Umständen anzupassen. Und die sind nun mal, dass die Welt nicht aufhört zu existieren, wenn ich dereinst das Zeitliche segne, sondern sie wird sich an mich erinnern. Sie wird späteren Generationen erzählen, wie ich mich verhalten habe. Eigentlich träumen wir Schriftsteller ja alle davon, dass man sich in Jahrhunderten noch an uns erinnert, aber bitte positiv.

Dieses Jahr werde ich meinen letzten innerdeutschen Flug antreten. Er ist schon gebucht, darum mache ich das noch. Ich buchte ihn übrigens, weil die Bahn genauso viel gekostet hätte, und dabei habe ich nicht mal den Spartarif genommen. Es ist Zeit, dass die Politik dafür sorgt, dass so was nicht sein kann.

Seit einiger Zeit kaufe ich fast ausschließlich Bio, möglichst regional. Mir geht es nicht darum, dass Bio gesünder ist … wobei der Gedanke, nicht den Antibiotikawahnsinn zu unterstützen, der in der Massentierhaltung stattfindet, natürlich seinen Reiz hat. In erster Linie tu ich das, damit es den Tieren und den Böden besser geht. (Zum Vegetarismus konnte ich mich bisher leider nicht durchringen.) Das lasse ich mich auch was kosten, weil ich in der glücklichen Lage bin, dass ich das kann.

Für meine Wege benutze ich überwiegend das Fahrrad. Der einzige Grund, warum ich noch ein Auto habe, ist der, dass es ein ACHTUNG WERBUNG 19 Jahre alter TT ist und ich ihn einfach liebe, auch wenn er fast nur noch herumsteht.

Ich bin kein besserer Mensch, weil ich mich so verhalte. Ich spüre nur, dass es notwendig ist. Je älter ich werde, desto größer wird mein Interesse daran, den Schaden, den ich durch meine Existenz verursache, klein zu halten. Wegen mir sollen keine Eintagsküken getötet werden und Schweine ihr Leben nicht im Stehen in einer Box verbringen müssen. Ich will, dass die Kuh, deren Milch ich trinke, weiß, wie Weidegras schmeckt und wie schön es ist, sich im Schatten eines Baumes in die Wiese zu legen. Ich muss auch nicht die fernsten Länder der Welt bereist haben, um meine Festplatte mit Abertausenden Fotos zu befüllen, die ich dann doch nie mehr ansehe. Ich brauche diese ganze Scheiße nicht.

Mein Gefühl sagt mir noch mehr. Es sagt mir, wir stehen vor einem Umbruch. Weiß Gott, wohin uns der führen wird, aber es wird sich einiges ändern. Bald. Ich vertraue einerseits auf die Jugend, die aufsteht, um uns zur Verantwortung zu ziehen, und fürchte andererseits die Konservative und deren braunen Saum. Vermutlich erlebe ich noch, wie die Zeiten unruhiger werden.

Auch wenn es illusorisch klingt, ich glaube fest daran, dass das Gute – die Vernunft – siegen wird. Es gibt so viele gute Ansätze und so viele Möglichkeiten, das Ruder herumzureißen, ich kann es kaum abwarten, dass es endlich losgeht. Schluss damit, die falschen Dinge zu subventionieren, her mit dem fairen Handel, gerechten Löhnen, realitischen Preisen. Wir müssen im Inneren damit beginnen, es besser zu machen, damit es im Äußeren wirken kann. Das fängt beim Individuum an und setzt sich fort in Industrie und Politik.

Billig wird das nicht. Schmerzlos auch nicht. Es wird aber noch teurer und schmerzvoller, wenn wir nichts tun – vielleicht erst mal nicht in Europa, wir leben ja zumindest in DE auf der Insel der Seligen. Das ist allerdings auch im tiefsten Afrika bekannt, darum sind wir gut beraten, wenn wir daran mitwirken, das Klima und die Wirtschaft dort zu fördern, statt durch Raubbau und falsche Subventionen zu zerstören.

Ich bin gespannt, wie sich die Dinge in den nächsten 10 Jahren entwickeln. Wird es eine Grüne Kanzlerschaft geben? Werden die Braunen mancherorts regieren? Wird eine konsequente Klimapolitik zur viel beschrieenen Spaltung der Gesellschaft führen? Wird Klimapolitik überhaupt betrieben werden oder es weiterhin nur um Profit gehen?

Solange ich das nicht weiß, kann ich keine Geschichten erdichten. Meine und eure Zeit ist momentan zu wertvoll, um sie mit von mir erfundenem Nonsens zu vergeuden. Ich werde diese Zeit lieber nutzen, unseren Nachkommen zu bewahren, was mir zuteil wurde: eine wundervolle Natur, ein gemäßigtes Klima, Wohlstand und hoffentlich auch Frieden.

Verdammt, ich bin pathetisch.

Euer Emu

Stempelabdruck Emu