Vom letzten Winken

Im Halbdunkel der Abenddämmerung steht er da und winkt uns hinterher. So sehe ich ihn vor mir, an der Straßenecke vor seinem Haus, ich winke zurück, bin Beifahrer. Dann geht es nach Hause vom jährlichen Weihnachtsbesuch. Das war 2019.

Es wird kein Winken mehr geben. Ein Krankenhausaufenthalt brachte Corona. Das ist Deutschland, wo du wegen eines Sturzes eingeliefert wirst und, einer Virusinfektion erlegen, im Sarg herausgetragen. Weil für Reisende Schnelltests bereitstehen, für Patienten, die dir aufs Zimmer geschoben werden, aber offenbar nicht.

Es ist schwierig, niemandem Vorwürfe zu machen oder die Verantwortung zuzuschieben. Das prophylaktisch ausgegebene Spahnsche Wir werden uns viel zu verzeihen haben ist die vorab eingeholte Vergebungspolicy eines nicht gerade beneidenswerten Ministers. Aber der ist alles, bloß nicht schuld.

Mitgerissen vom Wirtschaftsboom der Nachkriegsjahre haben unsere Großeltern und Eltern ihr Leben dem fleißigen Streben nach Wohlstand geopfert, Wohlstand und grenzenloser Freiheit, und mittlerweile sind all die damals erreichten Errungenschaften uns selbstverständlich geworden – meine drei bis vier Urlaube im Jahr, der Kurztrip nach London zum Wochenendshopping, meine Parties, abendliche Gänge in die Kneipe und keineahnungwasnochalles -, so selbstverständlich, dass allein der Gedanke daran, das flächendeckend für ein paar Monate zu verbieten, Angstschweiß auf die Stirnen der Politiker treibt.

Ich befinde mich seit März im Lockdown. Ich verreise nicht, treffe keine Freunde, besuche noch nicht mal die Nachbarn im gleichen Haus. Das habe ich so gehalten, um ihn, der nun nicht mehr winken wird, nicht zu gefährden. Nun ist er fort. Wir hätten Weihnachten ohnehin ohne Freunde verbracht, jetzt wird es auch ohne Freude sein. Denn so sehr ich auch sicher bin, dass er von den Engeln in Abrahams Schoß getragen wird, so sehr hinterlässt sein Tod großen Schmerz und viele Tränen bei uns. Da bleibt nicht viel Raum für Freude.

Ja, wir werden uns viel zu verzeihen haben. Das wird nicht leicht.

Mein 2019 war bereits überaus bescheiden, aber 2020 bekommt ein fettes Dislike. Allerdings sage ich nicht, es kann nicht mehr schlimmer kommen. Ich will nichts herausfordern.

Ich habe dieses Jahr einiges gelernt. Über uns als Gesellschaft, über mich als Mensch und über die nicht vorhandenen Grenzen geistigen Dünnschisses, von dem sich Menschen überzeugen lassen. Ich will auch kein Beileid von euch, darum erzähle ich das hier nicht, sondern ich will euch helfen, den Ernst der Lage einschätzen zu können. Falls ihr zu denen gehört, die kein Verständnis dafür haben, dass die Zügel wegen dieser Pandemie so sehr angezogen werden, so sage ich euch: nicht stark genug! Er könnte noch winken, wenn man diesen Sommer damit verbracht hätte, die Pandemie zu bekämpfen, statt den Leuten Brot und Spiele zu geben.

Und falls ihr zu den Jüngern der Ballwegs und Weidels und dieses Vegankochs gehört, falls ihr an Milliardäre glaubt, die euch Mikrochips einimpfen wollen und euch deshalb nicht impfen lasst, falls ihr im Masketragen einen Anlass seht, Widerstand zu leisten, Alter, löscht euch! Unterschreibt Verfügungen, dass ihr nicht nur kein Beatmungsgerät wollt, sondern gar nicht erst in ein Krankenhaus. Macht Gruppenkuscheln und liebt und durchseucht euch, aber bleibt weg von denen, die an eurer Dummheit sterben können.

Ja, wir werden uns wahrlich viel zu verzeihen haben, und ich hoffe, ich habe niemanden in meinem Bekanntenkreis, der sich zu den eben Erwähnten zählt. Falls doch, falls du Lesende:r dazugehörst: Geh mal in dich und frag dich, ob du Bock hast, deinen Vater oder deine Mutter auszumerzen.

Ich verrate euch was: Nicht nur die Regierung oder die Politiker:innen sind verantwortlich für das, was uns eben geschieht, sondern in erster Linie ihr. Eure fehlende Bereitschaft, zurückzustecken, aufeinander zu achten, Sorgfalt walten zu lassen – kurz: zu lieben. In meinem letzten Beitrag habe ich schon über die Schwierigkeit der Liebe zum Feind gesprochen, aber hier geht es um die Liebe zum Nächsten. Wenn sich nur jeder so verhalten würde, wie es die Nächstenliebe gebietet, hätten wir diese ganze Scheiße jetzt nicht so.

Weil ich den, der nun nicht mehr winken wird, geliebt habe, weil ich euch und auch, weil ich mich liebe und nicht an diesem Virus sterben will, habe ich meinen Lockdown seit März. Ich muss mir nichts verzeihen, denn ich habe alles getan, um euch vor mir zu schützen und mich vor euch. Ihr könnt euch drüber lustig machen, dass ich den elementaren Glaubensgrundsatz, die Liebe sei das Wichtigste im Leben, hier so breittrete, aber ich bin überzeugt, würden wir uns mehr bemühen, einander zu lieben, dann hätten wir deutlich weniger Tote zu beklagen in diesem Drecksjahr.

Amen!

Ich wünsche euch ein besinnliches Weihnachtsfest. Besinnt euch auf das, was euch ausmacht. Wie wollt ihr gesehen werden, wie wahrgenommen? Seid ihr bereit, für andere Opfer zu erbringen oder sind sie euch egal? Ist es euch wichtig, anderen Gutes zu tun oder dient ihr nur euch selbst? Vertraut ihr eurem Staat so weit, euch impfen zu lassen oder glaubt ihr lieber irgendwelchen Spinnern und Weltverschwörern?

Ich weiß nicht, wie lange ich noch winken können werde, aber ich weiß, dass ich es in Liebe tue. In diesem Sinne feiere ich mein Weihnachten. Heute wird Jesu Geburtstag gefeiert, ganz bescheiden mit Kartoffelsalat und Würstchen. Und dem traurigen Gedanken an den, der nicht mehr winken wird.

Euer Emu

Stempelabdruck Emu

Von der schwersten Art zu lieben

(Für alle, die keinen Bock auf Gott und Glauben haben, lest diesen Text besser nicht, schade um eure Zeit.)

Über Liebe wird in meinen Augen in diesen Tagen etwas zu wenig gesprochen. Wir sprechen über Corona, Schulden, Ängste, wir sprechen über Klima, Katastrophen und abermals Ängste, wir sprechen über Verquerte, Verblendete, Verrwirrte und manchmal dann auch wieder über Ängste. Wann sprechen wir über die Liebe?

Auf Zeit Online las ich heute ein zunächst vielversprechendes Interview mit einer Jungsozialistin, die sich auf die Fahne schreibt, Christin zu sein. Durch die Kirche hat sie zu Gott gefunden, sagt sie, aber „die Liebe zum Feind kriegt sie einfach nicht hin.“

Man kann sich lieb haben, Respekt und Wertschätzung füreinander empfinden. Aber Liebe und Hingabe sind für mich keine essenziellen Bestandteile guter Politik.

[…]

Ich muss nicht anfangen, Friedrich Merz zu lieben.

Lilly Blaudszun im Interview vom 11.12.20 8:00 Uhr auf zeit.de

Ups! Aber es ist doch genau das, was Gott uns Christen abverlangt!

Was, wenn ihr die Liebe zu ihrem Feind Friedrich Merz im entscheidenden Moment die Gelegenheit gäbe, etwas herausragend Wichtiges zu erreichen, das uns allen zugute käme, oder andersrum, etwas ganz Katastrophales zu verhindern, das vielen von uns schaden würde?

Die Geschichtenerzählerin in mir hat sich Folgendes ausgemalt:

Es ist der 24.02.2022, als Paula B. am Abend um 18 Uhr ihr Büro verlässt. Auf dem Flur stößt sie in einem Augenblick der Unachtsamkeit mit dem twitternd um die Ecke biegenden Bundeskanzler Friedrich M. zusammen, der Inhalt ihrer Handtasche verteilt sich auf dem Fußboden, darunter auch ihre Autobrille, auf die M., nicht rechtzeitig anhalten könnend, dann auch drauflatscht.

Paula B. verspürt eine unglaubliche Wut, erst recht, als dieser arrogante Schnösel sie dann auch noch ansieht, als würde er ihr die Schuld an dem Missgeschick geben. Sie kann ihn sowieso nicht leiden, konnte es noch nie, zumal er sie schon mehrfach im Parlament in Gabrielscher Manier abgekanzlert hat, und genau dieser Blick ist es auch jetzt, der ihr da sagt: Du kleine Nervensäge schon wieder.

Plötzlich fühlt Paula neben ihrer Wut etwas anderes. Eine Gewissheit. Sie weiß, wenn sie jetzt anders als freundlich zu M. ist, wird sie nur einem schaden: sich selbst. Es wird M. nicht stören, wenn sie wütend ist, weil er damit rechnet. Er kennt sie so. Es ist ihm egal. Es wird ihm auch egal sein, wenn sie ihn merken lässt, dass sie ihn nicht mag. Auch das kennt er von ihr, von vielen anderen, so ist das Leben nun mal. Man kann nicht von allen gemocht werden, jedermanns Freund ist jedermanns Depp, viel Feind, viel Ehr usw. M. ist absolut abgebrüht, Paula hat gar keine Chance, ihn ihren Zorn so spüren zu lassen, dass ihm das etwas ausmacht. Und weil sie das in diesem kostbaren Augenblick begreift, erkennt, dass sie nur sich selbst wehtut, wenn sie ihrer Wut jetzt freien Lauf lässt, weil sie nicht in ihm etwas zerstören würde, sondern in sich, tut sie etwas, mit dem er nicht gerechnet hat. Sie lächelt ihn freundlich an und sagt: Entschuldigung, Herr Bundeskanzler, ich war wohl in Gedanken.

M. ist so perplex, dass er sofort abwehrt und sagt: Nein, nein, es war meine Schuld, ich hätte nicht auf mein Telefon starren dürfen, er bückt sich, hilft ihr, ihre Sachen zusammenzusuchen, nimmt voller Beklemmung die zertretene Brille auf und sagt: Die werde ich Ihnen natürlich ersetzen.

Na ja, sagt Paula, ich hätte sie nicht ohne Schutzhülle in meine Tasche tun sollen, aber er hat schon seine Visitenkarte herausgezogen (als wüsste sie nicht, wer er ist) und sagt: Schicken Sie die Rechnung an mein Büro und alle anderen Auslagen, die Sie im Zusammenhang mit dieser Sache haben werden.

Paula ist nicht nur freundlich, sie ist auch schlau. Sie wird M. nie wieder so nahe kommen wie in diesem Augenblick. es gibt keinen besseren Moment, sich mit ihm zu vernetzen, als diesen. Dabei spielt es keine Rolle, ob man sich leiden kann oder nicht; wenn man miteinander vernetzt ist, ist das die beste Grundlage für einen konstruktiven Austausch. Und ist das nicht genau das, wofür sie als Politikerin antritt: so konstruktiv wie möglich zum Wohl des Deutschen Volkes zu agieren?

Also nimmt sie seine Karte, gibt ihm im Gegenzug ihre und nennt ihren Namen, endend mit: Jusos, aber das wissen Sie ja vermutlich. Er grinst, nickt, und verabschiedet sich mit einem freundlichen: Wir sehen uns.

Eine Woche später kommt es im Bundestag zu einer wilden Debatte. Das linksgrüne Lager greift die Regierung wegen eines wirtschaftsdienlichen Vorhabens an. In seiner abgeklärten Art erklärt M., der Staat müsse Prioritäten setzen, und die Priorität seien in diesem Fall mehrere Millionen Arbeitsplätze, die es zu erhalten gälte.

Paula entschließt sich, ans Rednerpult zu treten. Als sie ihre Redezeit bekommt, sieht sie M. direkt an, nur ihn, lächelt, warm, sucht all ihre Fähigkeit zur Zuneigung zu diesem Mann in sich zusammen und sagt: Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, wir beide sind ja Zusammenstöße gewöhnt und auch, dass dabei ein gewisser Schaden entstehen kann. Das möchte ich heute nicht. Ich will, dass etwas Gutes dabei herauskommt, wenn wir aufeinandertreffen. Darum bitte ich Sie in aller Freundschaft, mir zuzuhören.

Sie gibt ihr Plädoyer zum Besten – und er hört zu. Was sie sagt, arbeitet in ihm. Als sie sich später draußen sehen, kommt er auf sie zu und sagt: Ich bin sehr beeindruckt von Ihren Ausführungen. Ich werde sie in unser Vorhaben mit einfließen lassen und nach einer Lösung suchen, mit der wir alle leben können.

Was hier klingt wie ein Märchen, ist gar nicht so abwegig. Es ist eine Geschichte von gegenseitigem Respekt und dem wichtigsten Werkzeug, das uns Menschen mitgegeben wurde: der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Wir treffen sie den ganzen Tag über, in allem, was wir tun. und jeder Entscheidung liegen mindestens die beiden Möglichkeiten zugrunde, etwas gut oder schlecht zu machen, Schaden oder Nutzen zu erzeugen. Paaren wir diese Tatsache mit der Anforderung an uns selbst, alles aus der Liebe zu allem heraus zu tun, so können wir kaum falsch handeln. Gemeint ist hier nicht die körperliche Liebe, sondern die geistige, Boden für Verstehen, Respekt und Freundlichkeit, Aufrichtigkeit und – ja – Hingabe.

Ich bin mir sicher, auch ein Friedrich M. schätzt die Welt, auf der wir leben, denn auch er hat nur diese. Mit Respekt und der Fähigkeit, die richtigen Knöpfe bei ihm zu finden und zu drücken, könnte vermutlich auch eine Jungsozialistin manchen Samen in ihm säen und er würde sich entfalten. Aber es braucht die Bereitschaft, diesen Menschen zu lieben, ihn als Mitmensch anzuerkennen. Der Mensch, der mit mir hier ist, mit meinen Tag, mein Leben bestimmt. Stringent der Christlichen Lehre folgend, hat er genau dieselbe Daseinsberechtigung wie ich. Es gäbe ihn nicht, wenn Gott das nicht hätte zulassen wollen.

Was aber, wenn es nicht Friedrich M., sondern Björn H. ist, mit dem man es zu tun hat? Kann man den auch lieben? Schwierig, aber das macht es nur umso interessanter. Spielen wir die Eingangsszene mal mit ihm durch.

Er latscht auf die Brille und herrscht Paula an: Können Sie nicht besser aufpassen?

Paula, schon allein bei seinem Anblick auf Krawall gebürstet, hat kein Interesse daran, nett zu ihm zu sein. Er verdient keinen Respekt und schon gar keine Zuneigung. Einen Menschen wie ihn könnte sie niemals lieben.

Aber Halt, wem schadet sie, wenn sie ihn jetzt angiftet? Ihm sicher nicht, ihm ist das wurscht, er erwartet nichts anderes. Sie würde nur sich selbst vergiften mit den negativen Gefühlen, denen sie in diesem Augenblick freien Lauf lassen möchte, also besinnt sie sich. Wenn es zu Gottes Plan für sie gehört, dass sie genau jetzt genau das erlebt, was gerade passiert – und davon geht sie infolge ihres Glaubens aus – dann will Gott etwas von ihr. Was könnte das sein? Will er zu Björn H. durchdringen? Von ihm bemerkt, gehört werden? Es sind ja gerade diese Seelen, auf die er scharf ist: die, die ihn nicht sehen wollen. Als Christ bist du in erster Linie sein Werkzeug, durch das er spricht und handelt, weiß Paula.

Sie atmet tief durch. Entschuldigung, Herr Abgeordneter, sagt sie und ringt sich ein Lächeln ab. Ich war abgelenkt und habe Sie nicht gesehen. Jetzt wird ihr Lächeln offener, sie spürt, wie sie alle Liebe zum Menschen, nicht der Person, in sich zusammenkratzt, und legt es in ein freundliches: Verzeihung.

Sie bückt sich, beginnt, ihre Sachen einzusammeln. Unschlüssig steht H. herum, ehe er mithilft, beginnend mit der zerstörten Brille.

Meine Autobrille, murmelt sie, weiterhin lächelnd, während sich auf seinem Gesicht ein Erkennen der Situation ausbreitet. Ich rufe Ihnen ein Taxi, schicken Sie mir die Rechnung, sagt er, und wieder erkennt Paula die Chance einer Vernetzung.

Stopp! Darf man sich mit so jemandem vernetzen?

Man muss es, sage ich, aber man muss sehr vorsichtig bzw. gefestigt sein.

Abgesehen davon, dass ich H., G, W. und wie sie alle heißen, ganz und gar schrecklich finde, muss ich doch hinnehmen, dass es sie gibt. Es gibt sie in politischen Ämtern, weil wir Entscheidungen treffen, jeder von uns. Unsere Vorfahren haben sich eines Tages für Demokratie entschieden, wir haben bis heute mangels besserer Syteme nichts anderes, und die Demokratie wiederum bietet jedem einen Platz in der Politik, der eine bestimmte Anzahl Stimmberechtigter hinter sich vereint. Solange unsere Verfassungsorgane ihre Arbeit ordentlich machen und Kräfte, egal aus welcher Richtung, nicht der Verfassungswidrigkeit überführt werden, zwingt uns die Demokratie, diese zu dulden. Und jetzt kommt es: Gott verlangt von uns, auch diese Menschen, für den ein oder anderen sind es Feinde, zu lieben wie uns selbst.

Wow. Hartes Brot, Jesus.

Aber: Wenn ich jetzt sage, so jemanden muss ich nicht lieben, wie die Jusoin im Interview über Merz, dann mache ich es mir leicht. Es ist aber nicht die Aufgabe von uns Christen, es uns leicht zu machen, ganz im Gegenteil. Zu lieben ist oft alles andere als leicht.

Was macht Paula? Tief durchatmen, in sich hineinhorchen. Sie könnte jetzt laut ausrufen: Gott liebt dich! und weggehen. Dann könnte sie sagen: Jesus, ich habe meine Aufgabe erledigt, mehr war einfach nicht drin. Such dir jemand anderen, um dich diesem Mann zu offenbaren. Also sagt sie: Nur für das Taxi? H. versteht nicht, also sagt sie: Na, Sie haben meine Brille zertreten. Die war nicht billig.

H. zieht die Brauen hoch, Na dann eben auch für die Brille, und jetzt quillt es aus Paula heraus, ohne dass sie es verhindern kann: Vergessen Sie beides, ich will mit Ihnen morgen Mittagessen, weil ich denke, wir sollten mal ganz sachlich und absolut ehrlich über unsere politischen Positionen sprechen. Danach gehen wir wieder unseren Angelegenheiten nach, wissend, wie der andere tickt.

Ja, das mag ja alles sein, denkt, wer diesen Text bis hierher durchgehalten hat, nun vermutlich, aber erstens hat das mit Liebe nichts zu tun und zweitens gibt es ja noch viel schlimmere Menschen, muss man die auch respektvoll behandeln? Was wäre, wenn statt Björn Adolf um die Ecke gekommen wäre, würde Paula mit dem auch essen gehen wollen, um ihm zuzuhören? Oder ein Vergewaltiger? Ein Kinderschänder?

Konsequenterweise muss die Antwort Ja lauten. Denn die Forderung , die Gott uns Menschen stellt, lautet: Liebe deine Mitmenschen wie dich selbst. Dieses Lieben beinhaltet die Bereitschaft, den anderen so zu behandeln, wie man von ihm behandelt werden will. Es wäre Willkür, hier Unterschiede zu machen. Wer sich nicht Christ nennt, der darf so handeln, aber wir, die wir Gott vertrauen und an Jesus glauben, haben dieses Recht nicht. Das macht es so schwer, ein Christ zu sein. Wir haben unsere Freiheit, unsere Unabhängigkeit eingetauscht gegen das unbedingte Vertrauen in den Willen Gottes. Für uns gilt: Sein Wille geschehe.

Die gute Nachricht lautet: Die Wenigsten von uns kommen in derart prekäre Situationen. Normalerweise begegnen uns Menschen, die uns zuwider sind, im Straßenverkehr, Supermärkten oder sonstigen öffentlichen Orten. Ich bin öfter in heiklen Situationen, weil immer wieder motorisierte Verkehrsteilnehmende mich Radlerin gefährden, und manchmal entfährt mir dann schon ein Schimpfwort oder zwei; ich ertappe mich und sage dann: Tschuldigung Vater, grinse und radle weiter. Die Zeiten, wo mir so ein Erlebnis den Tag versauen konnte, sind vorbei. Ich mache Fehler, andere machen Fehler, damit lebe ich, und schon ist Frieden in mir. Und ich kann euch sagen, innerer Frieden ist was Wundervolles. So leicht zu erreichen. Man muss seine Mitmenschen bloß lieben, es wenigstens versuchen.

Ich wünsche euch allen einen friedvollen Dritten Advent. Genießt die Besinnlichkeit, mit der uns die Umstände derzeit beschenken und bleibt gesund.

Euer Emu

Stempelabdruck Emu